Es war nicht der erste Krieg, den ich erlebt habe. Ich war nach den Kriegen in Bosnien und Herzegowina solide vorbereitet. Am Anfang sah es nicht so aus, als würde ich das gut verkraften, denn als frisch angekommene Flüchtlinge rannte ich weinend nach Hause, als ich in Perlez1 die Probealarm Sirenen hörte.
Zweimal flohen wir aus Bosnien. Mama war oft stolz darauf, dass sie beim zweiten Mal daran gedacht hatte, die Fotos mitzunehmen – denn beim ersten Mal, als sie zurückblieben, wurden sie zerstört. Nur hatte sie sich beim zweiten Mal nicht daran erinnert Schuhe anzuziehen, und so kam sie bis nach Serbien nur in Hausschuhen an – was ihr dann peinlich war.
Ich war 11 Jahre alt, und kurz vor dem Bombardement hatte ich mit meinem Bruder den Film „Die Schlacht auf dem Amselfeld“2 gesehen. Ich schwärmte für Milos Obilić3.
Das Dorf, in dem wir damals lebten, war nicht in Gefahr, aber das wussten wir nicht sofort und so verbrachten wir ein paar Nächte im Keller vom Bruder meines Onkels.
Ich erinnere mich an diesen ersten Abend. Sanja, meine Schulfreundin weinte. Für sie war es schließlich der erste Krieg. Ihre Mutter tröstete sie. Aber auch mir wurde plötzlich schwer ums Herz, und ich erinnerte mich an die Bombardierung von Jajce4, daran, wie Splitter unser Auto trafen, während wir flohen, und an den Lastwagen mit der Betonmischmaschine, dessen Rad Funken sprühte, als wir ihn in stockfinsterer Nacht auf einer von Wald ungebenen Straße überholten. Da spürte ich, dass es wohl angemessen wäre, auch ein paar Tränen zu vergießen.
Sofort hörte ich Mamas tadelnde Stimme: „Marina!? Weinst du etwa!?“ „Ich weine nicht“, fuhr ich sie an. Danach weinte niemand mehr.
Und jetzt, in Salzburg, höre ich jeden Samstag Punkt zwölf die Klänge der Probealarm Sirenen vermischt mit den Kirchenglocken – und ich habe immer noch keine Angst. Ich hoffe, dass für meine Kinder diese Probesirenen die einzigen bleiben, die sie in ihrem Leben hören werden.
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